So klar und präzise das Kammerstück Zita – Щapa aufgebaut ist, so vielschichtig ist seine Wirkung. Scheinbar Eindeutiges hat auf den zweiten Blick einen doppelten Boden und eine Vielzahl von Bedeutungen. Vertrautes und Häusliches kippen ins Unheimliche. Der Doppeltitel dieses ungeschriebenen Stücks ist befrachtet mit einer Fülle von Anspielungen, die aber in der Installation nicht direkt ausformuliert sind. Vielmehr funktionieren sie als Stichwortgeber für ein Spiel aus Symmetrien und Brüchen, aus Entsprechungen und Widersprüchen, Andeutungen und Referenzen.
Dieser Name, Zita, wurde für mich zum Sinnbild für das, was ich mir vorstellte, Österreich, der Erste Weltkrieg, die Situation heute.
Katharina Fritsch
Zita passte überhaupt nicht zu mir. Darum wählte ich Щapa. Mir gefällt es, dass die meisten denken, das sei die russische Übersetzung von Zita. Diese falsche Symmetrie.
Alexej Koschkarow
Die historische Zita von Bourbon-Parma (1892–1989) und Kaiser Karl I. betraten als letztes Kaiserpaar von Österreich-Ungarn ab 1916 für kurze Zeit das Parkett des Weltgeschehens während des Ersten Weltkrieges. Mit dem verlorenen Krieg und dem Untergang der Doppelmonarchie im Herbst 1918 mussten Zita und ihr Gemahl ins Exil. Zitas Leben umfasste mehrere Epochen grundlegender Umwälzungen der Machtordnung in Europa und insbesondere in Osteuropa: vom Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch der Monarchie und des österreichischen Vielvölkerreichs, dem Zweiten Weltkrieg bis zum Vorabend des Zusammenbruchs des kommunistischen Europas. Da Zita zeitlebens am Thronanspruch festhielt, war ihr erst im hohen Alter die Wiedereinreise nach Österreich erlaubt. Im Frühling 1989 wurde sie in Wien einem Kaiserbegräbnis gleich bestattet. Zita ist aber auch eine italienische Heilige aus dem 13. Jahrhundert, die als Schutzpatronin von Hausangestellten gilt.
Der im Titel als Gegenstück fungierende Fluss Щара (Deutsch Schtschara) verläuft im Westen von Weissrussland und ist gerade mal einer der etwa 20 000 weissrussischen Flüsse, zu denen weitaus bekanntere Ströme wie der Dnjepr oder der Prypjat zählen. Die Schtschara war sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg ein Kriegsschauplatz und steht stellvertretend für die bewegte und wechselhafte Geschichte insbesondere des Westens des heutigen Weissrusslands. Das Gebiet war beide Male Austragungsort von Stellungskämpfen zwischen deutschen und russischen Truppen. Der mäandernde Verlauf und die von undurchdringlichen Wäldern und sumpfigen Gebieten gesäumten Ufer der Schtschara machten sie zur Verteidigungslinie und im Zweiten Weltkrieg insbesondere zum Rückzugsort von Partisanen. Alexej Koschkarow verbindet eine Erinnerung aus der Familiengeschichte mit dem Fluss: Sein Urgrossvater wurde dort während des Ersten Weltkrieges verwundet. Der persönliche Bezug ankert als Fussnote im grossen Strom der Geschichte, in dessen Fortgang sich Kriege und wechselnde Machtordnungen zyklisch einschreiben.
Zita – Щapa lädt ein, einzutauchen in ein atmosphärisches Bild voller kultureller und historischer Bezüge zu Themen wie Angst, Vertreibung, Heimat, Exil, Unterdrückung, Macht, Gewalt oder Tod; Themen, die heute noch eine ungebrochene Aktualität haben. Im Kammerstück ins Spiel gebracht, lässt die kunstvolle Inszenierung weit mehr als nur einen Schluss zu.