Das Werk Selbstturm; Löwenturm bietet einen einmaligen Einblick in das Schaffen Dieter Roths. Sein ehemaliger Werkraum, der die dem stetigen Zerfall ausgesetzte Installation beherbergt, gibt eine der unkonventionellsten, ja kühnsten Erwerbungen der Emanuel Hoffmann-Stiftung preis.
Unheimlich und doch vertraut wie eine aus der Zeit gefallene Erinnerungslandschaft, über der ein leicht säuerlicher Schokoladengeruch liegt, gibt sich der nahe beim Kunstmuseum Basel | Gegenwart gelegene Raum mit Dieter Roths (1930–1998) Selbstturm; Löwenturm. In zwei selbsttragenden, schichtweise aufgebauten Gestellen stapeln sich aus Schokolade und Zucker gegossene Selbst- und Löwenporträts. 1989 kaufte die Emanuel Hoffmann-Stiftung das Werk auf Anregung von Maja Oeri als unvollendetes künstlerisches Konzept an.
Die mittlerweile brüchig gewordenen Skulpturen gehen auf Dieter Roths erste serielle Schokoladenselbstporträts von 1968 zurück, die er mit dem ironischen Titel Portrait of the Artist as Vogelfutterbüste versah, eine Anspielung auf den von ihm als kitschig empfundenen Künstlerroman A Portrait of the Artist as a Young Man (1916) von James Joyce. Die kleinen, knapp 20 Zentimeter hohen Figuren, denen er Vogelfutter beimischte, hatte er – auf einen Besenstiel gesteckt und mit einem Anflugbrett versehen – den Vögeln im Garten zum Verzehr dargeboten. Ab 1969 begann Roth diese Gussarbeiten zum Selbstturm, ab 1970 in der Gestalt von Löwen auch zum Löwenturm aufeinanderzustapeln. Erstmals wurden die Türme 1971 in Daniel Spoerris Düsseldorfer Eat Art Galerie gezeigt. Während Roth zunächst nur Figuren aus Schokolade goss, ergänzte er die Gussformen der Selbstporträts und Löwenbüsten ab 1985 durch eine sphinxartige Mischform der beiden und begann mit verschiedenen Zuckersorten zu experimentieren.
Die Zuckergüsse kamen auf die alten, aus Schokolade gegossenen Schichten der Türme zu liegen. Dieter Roth beschrieb diesen Aufbau als Sinnbild der Natur: Die braune Schokolade symbolisierte für ihn die Erde, die farbigen Zuckerfiguren die Blumen und die hellblauen Zuckerfiguren zuoberst den Himmel. Seither arbeitet das organische Material in Komplizenschaft mit dem Künstler stetig weiter: Es zersetzt sich, bröselt, entwickelt Geruchsemissionen, verändert Form und Farbe. Wie das Leben, so Roths Überzeugung, muss auch die Kunst sein und sich, dem Rhythmus der Zeit ausgesetzt, fortwährend wandeln.
Die zwei übermannshohen Stellagen stehen im Zentrum des Raumes, der eine kleine Werkstatt mit zwei Kochherden, Töpfen, diversen Kochutensilien, Gussformen aus Gips und Silikon, gefüllten Zuckersäcken und Lebensmittelfarben umfasst. Ebenfalls im Raum befinden sich ein akkurat aufgeräumter Arbeitstisch mit Telefon, ein Wandregal mit Dokumentationsordnern zur Arbeit an den Türmen, ein Zettelkasten mit Fotografien der Skulpturen sowie Foto- und Videokamera, ein Kühlschrank, Arbeitskleider, Werkzeuge und Erinnerungsfotos von Dieter Roth, seinen Enkeln und seinen Arbeitskollegen.