Ich beginne damit, etwas nicht zu fotografieren.
Jeff Wall
Seit 1978 hat der kanadische Künstler Jeff Wall (geb. 1946) rund 120 fotografische Bilder geschaffen. Die grösstenteils farbigen Bilder präsentieren sich nicht als herkömmliche Fotografien, sondern es handelt sich um grossformatige Diapositive, die in Aluminiumkästen montiert und von hinten beleuchtet sind. Die Schwarzweiss-Bilder hingegen sind traditionelle Fotografien auf Papier.
Die direkte Wirkung des Lichtes in Kombination mit dem ungewohnten Grossformat erzeugt – noch vor der Wahrnehmung des Dargestellten – eine fast magische Präsenz. Erst allmählich wird deutlich, dass in Kontrast zu den verheissungsvoll leuchtenden Oberflächen unspektakuläre Szenen aus dem städtischen Alltag dargestellt sind.
Die Arbeit von Jeff Wall steht damit in der gemeinsamen Tradition von Fotografie und Malerei, die sich auf die direkte Darstellung der städtischen Gegenwart konzentrieren. Das Urbane
und Alltägliche ist auch für Jeff Wall Ausgangspunkt für seine Bilder. Schauplatz ist Vancouver, eine Stadt, die im Vergleich zu den alten westlichen Metropolen wie Paris oder New York
ein geradezu ideales Beispiel für die «neue Gegenwart» einer spätindustriellen und multikulturellen Gesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur Jeff Walls Interesse an der Geschichte und den Darstellungskonventionen der Fotografie zu verstehen, sondern auch seine Auseinandersetzung mit dem Film der 60er und 70er Jahre sowie mit der modernen Malerei. Seine Arbeiten stehen in der Tradition von Künstlern wie Manet, die noch vor der Fotografie den Weg zur «peintre de la vie moderne», so die von Charles Baudelaire geprägte Beschreibung, eingeschlagen hatten.
Die Fotografien von Jeff Wall sind nicht Schnappschüsse. Wall hat den Begriff des Cinematografischen verwendet, um seinen Ansatz zu bezeichnen. Auf der Suche nach der glaub-haften Darstellung des alltäglichen Lebens entwickelt er seine Bildsprache im Wechselspiel zwischen der dokumentarischen Fotografie und der cinematografischen Inszenierung.
Jeff Walls Werke moralisieren nicht, überhaupt vermitteln sie keine feste Bedeutung, sondern betonen vielmehr die Instabilität und zufällige Sinnhaftigkeit der Bilder. Bei aller bildhaften Vollkommenheit und gesättigten Präsenz sind es im Grunde Fragmente von grosser Offenheit. Das Faszinierende an Jeff Walls Bildern ist, dass jedes eine ganz besondere und einmalige Geschichte zu enthalten scheint, die bei aller Vertrautheit rätselhaft bleibt.
Diese bisher bei weitem umfangreichste Ausstellung von Jeff Wall versammelt rund 70 fotografische Bilder von 1978 bis heute. Einige dieser Arbeiten sind schon jetzt Ikonen der zeitgenössischen Fotografie. Andere sind selten gezeigt und wenig bekannt. Und einige sind überhaupt das erste Mal ausgestellt.