Über 370 Frauenporträts mit karmesinrotem Schleier im Profil, meist nach rechts gewandt, die sich alle ähneln, aber nie gleich sind. Der belgische Künstler Francis Alÿs (*1959 in Antwerpen, lebt in Mexico City) sammelt seit 20 Jahren von Laien gemalte Bildnisse der heiligen Fabiola, die er auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden erwirbt. So vielfältig diese Bilder auch sind, sie gehen alle auf das längst verschollene Bildnis der heiligen Fabiola des französischen Realisten Jean-Jacques Henner von 1885 zurück.
Das Schaulager, selbst eine Institution, die der Sammlungspflege und deren neuartigen Nutzung als aktives Bildarchiv gewidmet ist, bringt diese völlig anders geartete Sammlung nach Basel. Im Haus zum Kirschgarten, Basels ehemals vornehmstem Bürgerpalais, heute ein Museum prunkvoller Wohnkultur, breitet sich die Flut an Bildnissen der heiligen Fabiola aus und nimmt die bestehende Ausstellung in Beschlag. In dem prototypischen Milieu des protestantischen Grossbürgertums eröffnet die populäre Statthalterin des Katholizismus einen faszinierenden Widerstreit konträrer Lebenswelten.
Fabiola war eine römische Adlige, die im 4. Jahrhundert, nach Scheidung und zweiter Ehe so inbrünstig Busse und Gutes tat, dass sie wieder in die Gemeinde aufgenommen und nach ihrem Tod heilig gesprochen wurde. Sie ist die Patronin der Geschiedenen, Betrogenen, Misshandelten und Witwen. Lange Zeit in Vergessen heit geraten, erfreute sie sich im 19. Jahrhundert grosser Beliebtheit. «Francis Alÿs: Fabiola» ist kein «klassisches» Kunstwerk des international gefeierten Künstlers. Die rohe Masse der Sammlung bildet eine Intervention, infiltriert die Umgebung, zeigt die Macht der Bilder und den Glauben an die Wirkmächtigkeit eines Bildnisses. Seit 1994 hat Francis Alÿs die stetig wachsende Sammlung wiederholt präsentiert. Für jede dieser Fabiola-Ausstellungen sucht er einen speziellen Ort aus und konzipiert jeweils eine neue, ortseigene Intervention mit unterschiedlichen Zusammenstellungen und Perspektiven. Listig nutzt er die Sammlung als trojanisches Pferd, dringt in immer neue Räumlichkeiten ein und besetzt diese.
In Basel integriert Francis Alÿs die Sammlung zum ersten Mal in eine Wohnumgebung. Die im Haus zum Kirschgarten sonst so stillen wie prächtigen Ausstellungsräume grossbürgerlicher Wohnkultur stehen nun ganz im Zeichen des Widerstreits mit dem Eindringling und es entspinnt sich ein faszinierender Dialog über soziale, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg.