Der Abguss eines Ohrs, das wie aus dem Fleisch herausgeschnitten wirkt, hängt verkehrt herum und vergrössert an der Wand. Die faltige Haut ist von Poren und Furchen gezeichnet und weckt Erinnerungen an ein wissenschaftliches Präparat oder eine Totenmaske.
Die Vergrösserung des Körperteils ist ungewöhnlich in Gobers Werk. Normalerweise belässt er ein abgegossenes Kinderbein, Brüste, einen Torso im Massstab 1:1. Das Ohr ist im Kontrast zum überdimensionierten Exponat ein zartes und empfindliches Körperteil mit äusserst filigranem Aufbau: Es gliedert sich in das äussere Ohr, also die sichtbare Muschel mit den spiralförmig nach innen führenden Ausstülpungen, den mittleren Bereich mit den drei Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) und das Innenohr, das Geräusche in Nervensignale umwandelt. Diese Verschachtelung ist in skulpturaler Hinsicht interessant und im Blick auf Gobers Welt sowieso – eine treffende Metapher für die Verbindung von Innen- und Aussenwelt wie für einen laufend notwendigen Ausgleich, sitzt doch im Ohr auch der Sinn fürs Gleichgewicht.
Dem Ohr geht in der Kunst ein langer Ruf voraus: Man denke an Van Goghs Selbstverletzung oder ans abgetrennte Ohr, das in der Anfangssequenz von David Lynchs Blue Velvet (1986) gefunden wird. «Yes, that’s an ear, all right», stellt der
Detektiv nüchtern fest, als er den organischen Fund identifiziert. So lakonisch lässt sich auch Gobers vor allem von Ahnungen umspielte Plastik beschreiben.
Robert Gober (*1954 Wallingford, Connecticut, USA) rührt seit den 1970er-Jahren mit seinen Werken an gesellschaftlich empfindlichen Themen wie Sexualität, Religion und Macht. Seine Kunst des Isolierens, Imitierens und Inszenierens gibt selbst alltäglichsten Gegenständen – etwa einem Waschbecken oder einem Hundekörbchen – mehrere, oft abgründige Bedeutungsebenen mit. Die Essenz seiner Arbeit geht immer aus dem Akt derHerstellung hervor. Robert Gober lebt und arbeitet in New York.