Selten ist es zutreffender, von einem «Werkkörper» zu sprechen, als im Fall des in seiner Vielseitigkeit klar definierten Werks des mitten in seiner Karriere stehenden britischen Künstlers Steve McQueen (*1969 in London). Sein noch junges und schon mehrfach ausgezeichnetes Œuvre ist permanent in Wandlung. Jede neue Arbeit überrascht durch ihre Präzision und die Unerschrockenheit des Künstlers, neue Richtungen einzuschlagen. Das zeigt sich erneut auch in den Werken, die eigens für die Ausstellung entstanden sind.
Steve McQueens künstlerisches Schaffen setzt in den 1990er-Jahren mit kurzen Video- und Filminstallationen ein, die durch ihre experimentelle Kraft, ihre fast greifbare Materialität und die physische Wirkung auf den Betrachter neue Wege beschreiten. Ein Jahrzehnt darauf hat sich seine künstlerische Sprache auf längere, erzählerischere Filme ausgeweitet. Fotografien und Arbeiten wie das berührende Werk Queen and Country (2007–2009) gehören ebenso zu seinem Œuvre. Seit 2008 dreht Steve McQueen darüber hinaus auch Kinofilme. So wie schon seine erste filmische Installation Bear (1993) in der Kunstszene Wellen schlug, setzte auch sein erster Spielfilm Hunger (2008) in der Filmwelt einen Paukenschlag. In dieser für einen bildenden Künstler ungewohnten Domäne fliesst sein gereiftes filmisches Können in eine benachbarte und doch neue Form ein. Die Auswahl des Mediums ergibt sich bei Steve McQueen immer aus dem Stoff selbst, jede Thematik verlangt aus seiner Sicht nach einer bestimmten Erzählweise. Auch sein neuster Kinofilm Twelve Years a Slave, der im Herbst 2013 in die Kinos kommt, folgt diesem inneren Prinzip.
The physicality of any kind of work is always the key to bring people inside the work.
Ein grundlegendes Merkmal aller Werke des Künstlers sind die spezifischen und höchst präzisen Anweisungen für die Installationen. Die Projektionsart, die Grösse und Farbe des Raums und die Tonqualität sind integrale Bestandteile, womit das Werk erst seine Prägnanz entfalten kann. Auch die Entscheidung, ob die Arbeit als kontinuierliche Projektion oder als kinoähnliche Vorführung mit festen Vorführzeiten gezeigt wird, ist eine wichtige Festlegung des Künstlers. Im Schaulager wird eine Auswahl von beinahe dreissig Werken gezeigt, die sich über zwei Stockwerke erstreckt und die mit neuen Regeln experimentiert. Steve McQueen hat die Gelegenheit einer erstmaligen Überblicksausstellung hier und am Art Institute of Chicago (das Projekt ist eine Zusammenarbeit beider Institutionen) zum Anlass genommen, für einmal ganz neue Präsentationsformen auszuprobieren und seine Werke miteinander in Beziehung zu bringen. Diese Entschlossenheit, das eigene Schaffen noch einmal neu zu befragen, ermöglicht das Erlebnis einer beeindruckenden, noch kaum gesehenen Sichtweise auf seine filmischen Bilder.
So wird das Werk Carib’s Leap, das eigentlich immer in Nachbarschaft zu Western Deep (beide 2002) gezeigt wird, erstmals getrennt davon und in völlig anderen Dimensionen, nämlich auf den LED-Wänden an der Aussenfassade des Schaulagers, vorgeführt. Im Hellen und im Freiraum präsentiert, kommunizieren die bewegten Bilder auf eine direkte Weise mit der Aussenwelt. Einschneidend ist auch die ungewohnte Präsentationsweise, die der Künstler für die drei Werke gewählt hat, mit denen er vor zwanzig Jahren seine Karriere startete: Bear, Five Easy Pieces (1995) und Just Above My Head (1996) werden aus drei Achsen auf eine mitten im Raum stehende dreiseitige Projektionsfläche projiziert. In dieser Offenheit, der Mehransichtigkeit und der Präsenz im Raum wirken die Filme wie eine Fortsetzung der Skulptur im bewegten Bild und es offenbart sich ihr richtungsweisendes Potenzial für die Entwicklung des späteren Œuvres.
Filmische Bilder haben eine magische Kraft, die einen in Bann zieht, nicht zuletzt deshalb, weil Video- und Filminstallationen im Dunkeln und meistens in eigens dafür gebauten Kammern gezeigt werden. Man tritt in einen nur durch die Projektionsfläche beleuchteten Raum, der einen umfängt und Zeit und Ort vergessen macht – um üblicherweise danach wieder ins grelle Licht hinauszutreten. Dieser Kontrast und Bruch wird in der Ausstellung abgelöst von einem gleitenden Übergang im Dämmerlicht. Die Vielgestaltigkeit von Dunkelheit zeigt sich im Wechsel zwischen Transparenz und Geschlossenheit, Innen- und Aussenräumen und in den Durchblicken und Spiegelungen. Wie in der verschachtelten Architektur einer Stadt gibt es in dieser Anordnung offene Plätze und Blickachsen zwischen den Gebäuden beziehungsweise zwischen den einzelnen Arbeiten.
Der Begriff der Kinostadt soll diese Struktur verbildlichen und dient zugleich als Metapher für den inneren Zusammenhalt der Werke, von denen jedes einzelne viel Zeit einfordert und sich nicht auf den ersten Blick erschliesst. In der Kinostadt treffen die Werke aufeinander und zeigen sich in ihrer Eigenständigkeit. Der sorgfältig eingesetzte Ton der Video- und Filminstallationen kommt in dieser Atmosphäre noch signifikanter zum Vorschein und trägt zur fast mystischen Stimmung bei – ganz deutlich ist man sich der eigenen Anwesenheit im Raum bewusst und wird zum Teil des Ganzen.