Die Installation Untitled (1995–1997) von Robert Gober ist seit der Eröffnung des Schaulagers 2003 permanent im Untergeschoss eingerichtet. Das Rauschen des Wassers ist schon von Weitem zu hören. Die universell positive Konnotation von Wasser prägt den arkadischen Aspekt des quadratischen Raums. In der Mitte der kreuzförmig ausgerichteten Anlage erhebt sich eine lebensgross in Beton gegossene Skulptur der Jungfrau Maria mit ausgebreiteten Armen. Ein monumentales Rohr aus Bronze durchstösst ihren Unterleib. Die Öffnung des Rohres leitet den Blick auf die hinter ihr gelegene, in ein unbekanntes Oben führende Treppe aus Zedernholz. Über deren Stufen strömt Wasser, das sich auf dem Boden sammelt und schliesslich durch ein bronzenes Abflussgitter fliesst. Auch die Madonna steht auf einem überdimensionierten Abwasserrost. Durch einen Schacht aus Backsteinen wird ein unterirdischer ‹Meeresgrund› sichtbar, eine Landschaft mit Seegras, Muscheln, Seesternen und Krebsen sowie silbernen und kupfernen Münzen. Zu beiden Seiten der Madonnenfigur, symmetrisch an der Peripherie des Raumes, stehen zwei übergrosse, geöffnete Lederkoffer. Ihre Böden öffnen sich ebenfalls in je einen massiven Abwasserrost, durch den der Blick erneut auf den Grund des Gewässers fällt. Hier werden die Füsse und Unterschenkel eines Mannes sichtbar, der im Wasser stehend einen gewickelten Säugling vor sich herträgt.
Widersprüchlich ist die Gegenwart der Dinge und Körper. Wenn Robert Gober sich dem Thema der Religiosität nähert, fallen Idyll und Bedrohung, Aneignung und Verstoss gnadenlos ineinander. Den heftigen, ja blasphemischen Angriff auf die Doktrin der Unversehrtheit verstärkt der doppelte Boden sowie die raffinierte, von Überraschung und Schreck bestimmte Blickführung. Bewacht die perforierte Madonna einen Wunschbrunnen? Haben wir im Kleinkind einen Täufling entdeckt oder werden wir Zeugen verschwiegenen Missbrauchs? Wasser, selbst Zeichen für Leben und Reinheit, unterspült die sakral aufgeladenen Elemente und wird zur vieldeutigen Metapher einer Suche, mäandernd zwischen Heil und Unheil. Mit den altmodischen Koffern und der Treppe kommt gleichzeitig die profane Ebene ins Spiel, das Häusliche, der Ort des Alltags.
Auf den ersten Blick wirken die Bestandteile der Installation wie gefundene Objekte. Tatsächlich aber hat der Künstler alle Elemente mit Assistentinnen und Assistenten aufwendig und von Hand hergestellt. Robert Gobers bildnerisches Denken lässt sich von unterschiedlichsten Materialien herausfordern; die nahezu perfekte Nachahmung vertrauter Dinge gibt diesen zwiespältige Pointen mit. Im Verfremden ihrer Umgebung und im Verschieben ihrer Massstäbe büssen Symbole ihre verlässlichen Kräfte ein, mehr noch: Sie spielen sie aus gegen die Heimlichkeit gesellschaftlicher Abgründe.
Untitled wurde von Robert Gober mithilfe seines Teams als ortsspezifische Installation für seine Einzelausstellung im Museum of Contemporary Art in Los Angeles von 1997 geschaffen. Die Arbeit an dieser hochkomplexen Installation dauerte über zwei Jahre.
Robert Gober (*1954 Wallingford, Connecticut, USA) rührt seit den 1970er-Jahren mit seinen Werken an gesellschaftlich empfindlichen Themen wie Sexualität, Religion und Macht. Seine Kunst des Isolierens, Imitierens und Inszenierens gibt selbst alltäglichsten Gegenständen – etwa einem Waschbecken oder einem Hundekörbchen – mehrere, oft abgründige Bedeutungsebenen mit. Die Essenz seiner Arbeit geht immer aus dem Akt derHerstellung hervor. Robert Gober lebt und arbeitet in New York.