Seit seiner Eröffnung 2003 nimmt das Schaulager im Untergeschoss die monumentale Installation Rattenkönig (1993) von Katharina Fritsch auf. Seite an Seite sitzen sechzehn riesige Ratten pechschwarz auf ihren Hinterbeinen, reglos in einem geschlossenen Kreis. In der Mitte formieren sich die Schwänze der ununterscheidbaren Nager zu einem mächtigen Knoten. Die nach vorn geneigte Körperhaltung der Tiere signalisiert Spannung, ja Angriffslust, doch scheint dieser Impuls durch die schwere Verknotung zurückgebunden. Die Ratten sind Gefangene und Wächter in einem; Schaulust und Befremden halten sich die Waage.
Die Idee zum Rattenkönig entwickelte Katharina Fritsch 1989 während einer Reise nach New York, die sie auf Einladung der Dia Art Foundation unternahm. Die Künstlerin war überwältigt von der Stadt mit ihren Formationen aus Wolkenkratzern und Strassenschluchten. Als sie die Ausstellungsräume der Dia Art Foundation sah, wusste sie, dass ihre Arbeit dort eine Verbindung zum Ort eingehen würde. Inspiriert von der Grossstadt, wollte sie mit einer Figur arbeiten, die nicht ganz greifbar wäre: einem Wesen, als Tier doch mit Menschen assoziierbar, ähnlich den ‹Gargoyles›, den Wasserspeiern, welche die Art-déco-Wolkenkratzer zu modernen Kathedralen stilisieren.
Mit dem Motiv des Rattenkönigs greift Fritsch ein Phänomen auf, das bis heute naturwissenschaftlich nicht eindeutig belegt ist: Demnach verknoten sich die Schwänze junger Ratten im Nest zu einem solchen Wirrsal, dass sich die Tiere nicht mehr allein befreien können. Seit dem Mittelalter gibt es Berichte über solche Rattenkönige – damals unheilvolle Vorboten der Pest. Die eingefrorene Gefahr von Katharina Fritschs Rattenkönig versinnbildlicht den Moloch der Grossstadt New York und knüpft zugleich an die deutsche Märchen- und Sagenwelt an. Nicht zuletzt ist der Rattenkönig aber auch ein Bild für unlösbare Probleme unterschiedlichster – persönlicher, politischer oder sozialer – Natur. Für die Modellierung der Ratten ging die Künstlerin von einem kleinen, ausgestopften Tier aus, dessen Gipsmodell sie durch Punktierungsverfahren auf beinahe drei Meter Höhe vergrösserte. Das entstandene Gipsmodell bearbeitete sie so lange, bis die Ratte ‹anonymisiert› einem Ur- und Prototypen, der Ratte schlechthin, zu entsprechen schien.
Katharina Fritsch (*1956 Essen, Deutschland) beruft sich in ihren Installationen häufig auf Gegenstände, Menschen oder Tiere, deren prototypische Erscheinung an ein kollektives Gedächtnis appelliert. Das Isolieren und Vervielfältigen und das Manipulieren von Grössenverhältnis, Materialität oder Farbigkeit entzieht vertraute Figuren ihrem originalen Zusammenhang. Mit der gezielten Auswahl von Stereotypen aktiviert die Künstlerin einen kulturellen Speicher – ihre Werke erscheinen wie Boten aus einer fernen Welt und altbekannt zugleich.