Bei den Nachtlandschaften von David Claerbout begeben sich die Betrachterinnen und Betrachter in einen komplett abgedunkelten Raum, welcher verlangt, dass wir uns langsam und aufmerksam bewegen. Die Nightscape Lightboxes zeigen in der Nacht aufgenommene Orte an der Grenze zwischen Zivilisation und Natur. Dort etwa, wo sich das städtische Umland entlang einer Strasse im Wald verliert. Die Nachtaufnahmen sind so dunkel, dass sie sich unserem Sehsinn zunächst verweigern, bis nach einiger Zeit schemenhaft ein Baum oder ein Stück Wiese lesbar wird.
Jede intensivere Ausleuchtung von Claerbouts Bildern würden diese schwarz erscheinen lassen. Diese nächtlichen Aufnahmen strapazieren die Grenzen der fotografischen Aufzeichnung und rufen zeitgleich die erstaunlichen Fähigkeiten unseres Sehsinns ins Bewusstsein. Wer sehen will, muss warten. Wie in den meisten Arbeiten von Claerbout thematisieren auch diese Leuchtkästen den Faktor Zeit. Die Minuten, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, die Retina sich weitet und die Sehrezeptoren das minimale Quantum an Licht in Signale umwandelt, lassen sich nicht aktiv beschleunigen. Ungewohnt ist so geduldiges Erleben von Bildern, deren Ereignislosigkeit uns umso intensiver ans eigene Wahrnehmen verweist: In dieser Zeit, bevor die Bilder allmählich erscheinen, übernehmen die anderen Sinne das Zepter. Insbesondere das Ohr geht auf Tuchfühlung mit dem dunklen, unbekannten Raum und den Geräuschen um uns herum.
David Claerbout (*1969 Kortrijk, Belgien) arbeitet an den Schnittstellen von Fotografie, Film und digitalen Medien. Der gelernte Kunstmaler erweiterte seine Arbeit früh um fotografische und filmische Techniken und machte zunehmend die Zeit zu seinem künstlerischen Thema. Seine Werke verschmelzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verblüffenden Momenten zeitlicher Elastizität und werden so zu tiefgründigen und bewegenden philosophischen Betrachtungen unserer Wahrnehmung von Zeit und Realität, Erinnerung und Erfahrung, Wahrheit und Fiktion. Claerbout lebt und arbeitet in Antwerpen und Berlin.