Ihre nach formalen oder inhaltlichen Kriterien gruppierten Werke präsentiert Dayanita Singh in ‹mobilen Museen›: Paravents oder modulare Schaukästen, variable Regale oder gestapelte Boxen thematisieren auch das Ausstellen selbst. Jedem einmaligen Blick – Menschen, Architektur, Intérieurs, Mobiliar – kommt ein Platz zu im übergeordneten Rahmen, bringt das Bild in Relation zu anderen. Solche Beweglichkeit – seitens der Künstlerin wie bei uns Betrachtenden – macht deutlich: Fotografie ist für Singh etwas Fluktuierendes und ihre eigens erfundenen Dispositive sind dazu da, aus grossen Archiven die Gegenwart immer neu zu entfalten.
Singh entzieht ihr Schaffen den musealen Klassifizierungen. Sie versteht auch menschenleere Räume als ‹Porträts› und schärft in der Darbietung ähnlicher Motive das genaue, vergleichende Lesen. Singhs künstlerische Praxis wurzelt im Fotojournalismus. In eine Generation hineingeboren, die für Frauen in Indien immer noch bestimmte soziale Rollen vorsah, bedeutete die Fotografie für sie ein ‹Ticket in die Freiheit›. Zunächst diente ihr das Buch – weit zugänglicher und darum demokratischer als das Museum – als Vehikel der Veröffentlichung. Dabei sind schon ihre frühen, bibliophilen Objekte räumlich konzipiert: Im Faltobjekt oder Leporello treffen stille Beobachtungen immer neu aufeinander.
Singhs Serien sind in unterschiedlichen Graden miteinander verwandt. So haben die jeweils zwölfteiligen Konstellationen von Let’s Hold On, Let’s Talk und Let’s Talk Again durch ein gemeinsames Merkmal zusammengefunden – Säulen etwa oder Stühle, die ihre eigene kulturhistorische Konnotation mitbringen. Die fotografischen Abzüge präsentiert die Künstlerin in einem Holzrahmen wie in einem Setzkasten; ihre enge Nachbarschaft erinnert auch an Kontaktabzüge, die mehrere Belichtungen aneinanderreihen. Jedes Einzelbild nimmt ein nächstes vorweg im fortlaufenden Narrativ, nichts scheint im einzelnen Bild je zu Ende erzählt.
Dayanita Singh (*1961, Neu-Delhi, Indien) studierte Visuelle Kommunikation am National Institute for Design in Ahmedabad und Fotojournalismus und Dokumentarfotografie am International Center of Photography in New York. Fotografie ist ihr Medium, um mit Büchern und ausgewählten Dispositiven das erzählerische Potenzial auch ereignisloser Bilder zu untersuchen. Dabei greift die Künstlerin auf ein inzwischen umfassendes, eigenes Bildarchiv zurück. Sie lebt und arbeitet in Neu-Delhi und in Goa.